Seminar zu Röm. 13,8-14

8a)Bleibt niemand etwas schuldig, außer dass ihr einander liebt!

-          „bleibt niemand etwas schuldig“ => Paulus vollzieht hier einen Übergang vom vorhergehenden Abschnitt zum nächsten. In 13,1-7 rief er die Christen zur grundsätzlichen Unterordnung unter staatliche Autoritäten auf. In 13,7 forderte er sie auf, allen das zu geben, was sie ihnen schulden: Steuern, Gebühren, Respekt und Anerkennung. In Vers 8a wiederholt Paulus diese Aufforderung: „Bleibt niemand etwas schuldig“, verallgemeinert sie aber. Wie wir staatlichen Autoritäten gegenüber unsere Schuldigkeit erfüllen, so auch gegenüber jedermann. Paulus hat hier wohl insbesondere Pflichten vor Augen, die Christen vertraglich eingegangen sind. Wo wir unsere Unterschrift druntergesetzt, wo wir einen Handschlag gemacht, wo wir eine Zusage gegeben haben, sollen wir sie erfüllen.

-          „außer dass ihr einander liebt“ => Zwar ist dies grammatisch nur ein Nebensatz zur vorhergehenden Aufforderung. Aber im weiteren Verlauf wird deutlich, dass Paulus hier das Hauptthema für die Verse 8-10 einführt: Wir sollen unseren Mitmenschen lieben. Dabei liegt die Betonung auf der Liebe zu den Glaubensgeschwistern, wenn Paulus sagt, dass wir „einander“ lieben sollen. Dies ist eine Schuld, die wir schuldig bleiben sollen. Er geht hier davon aus, dass die Liebe eine Schuld ist, die wir niemals abtragen können. Man kann sie nicht eingrenzen und bemessen. Bei der Liebe kann man nie sagen: „Jetzt habe ich so und so viel Liebe erwiesen, das reicht.“ Wenn es um die Liebe geht, sollen wir uns immer in der Bringschuld sehen. Dabei geht es nicht darum, ein schlechtes Gewissen zu haben und ständig einer unerfüllten Forderung hinterherzulaufen. Sondern wir sollen begreifen, dass die Liebe in der neuen Schöpfung eine Wirklichkeit ist, in der wir durch den Glauben an Jesus leben.

8b)Denn wer den anderen liebt, hat damit das Gesetz erfüllt.

-          „denn“ => Paulus begründet in Vers 8b die vorhergehende Aufforderung, einander zu lieben. Warum sollen wir das tun? Antwort: Weil wir damit das Gesetz erfüllen. Paulus kehrt wieder einmal zum Thema des Gesetzes zurück, und zwar des mosaischen Gesetzes. Er hat über das Verhältnis der Christen zum Gesetz schon einiges gesagt. Christen stehen nicht unter der Herrschaft des Gesetzes, 6,14. Sie sind durch ihre Verbindung mit Christus dem Gesetz gegenüber gestorben, 7,4.6. Jesus Christus ist das Ende und das Ziel des Gesetzes, weshalb sich Christen um ihn als die Hauptoffenbarung Gottes drehen, 10,4-9. Entsprechend dieser Aussagen hat Paulus in seinen Ausführungen zur christlichen Ethik von Kapitel 12,1 an nicht das Gesetz in den Mittelpunkt gestellt. Ausgangspunkt für die Aufforderung zum Leben, das Gott verherrlicht, ist für ihn die Gnade Gottes, die im Evangelium von Jesus Christus offenbar geworden ist, 12,1.

-          „hat damit das Gesetz erfüllt“ => Christen sollen einander lieben, weil sie damit das Gesetz erfüllen. Dies hört sich zunächst vielleicht so an, als stünden Christen dem Gesetz gegenüber in der Pflicht. Dies ist aber nicht, was Paulus meint. Er sagt nicht, dass Christen durch die Liebe das Gesetz halten, sondern es erfüllen. Davon sprach er bereits in 8,3-4: 

Das Gesetz Gottes hatte nicht die Macht uns zu befreien, weil es durch das Fleisch  wirkungslos war. Was das Gesetz nicht vermochte, tat Gott selbst: Er sandte seinen eigenen Sohn in Gleichgestalt des Fleisches der Sünde. Er sandte ihn für die Sünde und verdammte die Sünde im Fleisch. Er tat dies, damit die gerechte Forderung des Gesetzes in uns erfüllt ist, in uns, die wir unser Leben nicht im Machtbereich des Fleisches führen, sondern im Machtbereich des Geistes.“

Wenn Paulus von der Erfüllung des Gesetzes spricht, denkt er in heilsgeschichtlichen Rastern. Um das zu verstehen, ist es hilfreich, sich noch einmal 10,4 vor Augen zu führen: Christus ist das Ende und das Ziel des Gesetzes. Für Paulus gibt auf der einen Seite eine Verbindung zwischen Christus und dem Gesetz: Das Gesetz weist auf eine Zeit der Erfüllung hin, die mit Christus gekommen ist. Und nachdem Christus erschienen ist, hat das Gesetz, das ist die andere Seite, seinen Rang als maßgeblicher Hauptoffenbarung Gottes an Christus abgegeben. Es ist nach seiner Erfüllung darum auch an sein Ende gekommen.

In seinen Ausführungen zur Rechtfertigung des Gottlosen geht Paulus auch von beiden Dingen aus: Das Gesetz bezeugt im Voraus die Offenbarung der endzeitlichen Gerechtigkeit Gottes. Aber als diese Gerechtigkeit sich dann in Christus offenbart, geschieht dies ohne Gesetz, getrennt vom Gesetz. Warum? Weil es durch Christus, in dem es sich erfüllt, an sein Ende gekommen ist. Ähnlich ist es mit der christlichen Ethik in ihrem Verhältnis zum Gesetz. Das Herzstück dieser Ethik, wenn es um das Verhalten zum Mitmenschen geht, ist die Liebe. Die zentrale Bedeutung der Liebe wird schon im Gesetz vorgeschattet. Und das Gesetz weist auf eine Zeit voraus, in der diese Liebe Wirklichkeit wird. Aber die Offenbarung dieser Wirklichkeit vollzieht sich in Christus, im Glauben an ihn, ohne Gesetz, getrennt vom Gesetz.

Paulus spricht in 13,8 also von der Liebe als der Wirklichkeit, die in der neuen Schöpfung, und nur hier, gegeben ist. Christen haben in der Liebe, die sie den Mitmenschen erweisen, das ganze Gesetz erfüllt. Das, worauf das Gesetz hinweist, macht Gott in ihrem Leben durch das Evangelium zur Wirklichkeit. Das ist in diesem Leben noch nicht vollkommen. Aber in denen, die an Jesus glauben, ist Gott schon jetzt mit den Gaben der neuen Schöpfung wirksam.

Christen sollen sich also, was ihr Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen betrifft, von diesem einen Gebot der Liebe leiten lassen. Dieses Gebot ergeht an Christen nicht im Rahmen des Gesetzes. Sondern Christus, ihr Herr, gibt es ihnen.

-          Anwendung: Die Liebe zum Nächsten ist das zentrale Gebot, dass Jesus seinen Jüngern gegeben hat. Jesus selbst hat es vollkommen erfüllt und durch den Glauben haben wir an dieser Erfüllung Anteil. Wir selbst leben auch entsprechend diesem Gebot, aber in diesem Leben nicht vollkommen. Daher sind für uns weitere Gebote nötig, die uns die Richtung zeigen, wie die Liebe in verschiedenen Lebensbereichen Gestalt annimmt. Es gibt daher in der Unterweisung von Jesus und der Apostel einige weitere Gebote, bestimmte Dinge zu tun und bestimmte Dinge zu lassen.Wenn wir dieses Gebot beherzigen, brauchen wir uns um weitere Gebote nicht zu kümmern. Diese anderen Gebote werden erst dann relevant, wenn Christen es an der Liebe zum Nächsten fehlen lassen. Und das wird oft genug der Fall sein.

Ein Beispiel dafür: Wer seinen Mitmenschen liebt, ist weit davon entfernt, ihn verleumden zu wollen. Solange er seinen Mitmenschen liebt, ist für ihn das Gebot, seinen Mitmenschen nicht zu verleumden, irrelevant. Wenn er aber in die Versuchung kommt, ihn zu verleumden, dann ist die Aufforderung, es nicht zu tun, von Bedeutung. Christen sollen sich aber nicht in erster Linie damit beschäftigen, ihren Nächsten nicht zu verleumden, sondern ihn zu lieben. Wer liebt, kreist nicht um die Frage, was er unterlassen soll. Sondern er macht sich unentwegt darüber Gedanken, was er dem Nächsten Gutes tun kann.

9)Denn die Reihe von Geboten: «Du sollst nicht ehebrechen“, „Du sollst nicht töten“,  „Du sollst nicht stehlen“, „Lass dich nicht gelüsten“, und was es sonst noch an Geboten geben mag, ist in diesem Gebot zusammengefasst: «Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!»

-          „denn“ => Paulus begründet in den Versen 9-10 seine Behauptung, dass die Liebe zum Mitmenschen die Erfüllung des Gesetzes ist. Stimmt das? Kann man im Gesetz die Vorrangstellung dieses Gebotes feststellen? Paulus muss irgendwie den Nachweis führen, dass dieses Gebot bereits im Gesetz gegenüber den anderen Geboten eine hervorgehobene Stellung innehat. Nur so kann die im Neuen Bund gelebte Nächstenliebe die Erfüllung des Gesetzes sein. Nur so kann gesagt werden, dass die Nächstenliebe vom Gesetz als das wichtigste Gebot in der neuen Schöpfung vorgeschattet worden ist.

-          „die Reihe von Geboten“ => Paulus zitiert das siebte, sechste, achte und zehnte Gebot der Gesetzestafel. Es sind alles Gebote, die das Zusammenleben der Menschen betreffen und dabei bestimmte Bereiche ansprechen: den Schutz von Ehe, Leben und Eigentum.

-          „und was es sonst noch an Geboten geben mag“ => Paulus bezieht sich vom Zusammenhang her wohl weitere Gebote des Gesetzes, die das Zusammenleben der Israeliten betreffen.

-          „in diesem Gebot zusammengefasst“ => Bemerkenswert ist, dass im frühen Judentum dem Gebot der Nächstenliebe gewöhnlich keine zentrale Bedeutung zugewiesen wurde. Es ist Jesus, der in diesem Gebot alle Gebote, die das Verhalten zum Mitmenschen betreffen, zusammenfasst. In Mt. 22,37-40 antwortet Jesus auf die Frage, welches das wichtigste Gebot im Gesetz sei: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, mit ganzer Hingabe und mit deinem ganzen Verstand! Dies ist das größte und wichtigste Gebot. Ein zweites ist ebenso wichtig: Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst! An diesen beiden Geboten hängen das ganze Gesetz und die Propheten. Der letzte Satz ist hier von besonderer Bedeutung: Was meint Jesus damit, dass das Gesetz und die Propheten an diesen zwei Geboten aufgehängt sind? Er will damit sagen, dass die Bedeutung aller anderen Gebote nicht erkannt werden kann, wenn man das Gebot der Liebe weglässt. Das Gebot, nicht zu töten etwa, ist eben mit dem Gebot der Liebe verknüpft. Ich kann das Gebot, nicht zu töten, nicht ohne Liebe zum Nächsten halten. Ich soll nicht nur sein Leben nicht antasten, sondern es im Gegenteil sogar fördern und meine Freude an seinem Wohl haben.

Paulus klinkt sich offensichtlich bei Jesus ein, wenn er sagt, die Gebote des Gesetzes, die das Verhalten zum Nächsten betreffen, seien in dem einen Gebot der Nächstenliebe „zusammengefasst“.  Dieses Gebot ersetzt die Gebote des mosaischen Gesetzes. Das bedeutet Folgendes: Was die Regelung von Verhalten im Volk Gottes anbetrifft, hat das Gesetz Gottes seine zentrale Stellung an Christus abgegeben, der ja das Ende und Ziel des Gesetzes ist, 10,4. Für Christen steht Christus im Mittelpunkt. Christen hören, wenn sie den Willen Gottes für die Endzeit wissen wollen, auf Jesus Christus. Und Christus stellt, was das Verhalten zum Nächsten betrifft, ein Gebot, eine Aufforderung in den Mittelpunkt, die Liebe zum Mitmenschen. Er erfüllt damit das Gesetz und Christen, die nach diesem Gebot leben, auch.

Eine Frage stellt sich noch, nämlich die, inwieweit die Deutung von 3.Mo.19,18 durch Jesus und Paulus im Gesetz selber angelegt ist. Die zentrale Bedeutung dieses Gebotes wird im Gesetz nicht so klar herausgestellt wie durch Jesus und Paulus. Wenn aber von der Erfüllung des Gesetzes die Rede ist, sollte man annehmen, dass das Gesetz auch selbst den einen oder anderen Hinweis auf die besondere Bedeutung des Gebotes der Nächstenliebe gibt. Wenigstens zwei Hinweise gibt es:

• In 5.Mo.6,4-5 wird die wahre Verehrung Gottes mit der aufrechten Liebe zu ihm verknüpft. Weil Gott einer ist, ist die einzig rechte Beziehung zu ihm die, dass man ihn von ganzem Herzen liebt. Wenn die Liebe zu Gott so wesentlich in der Beziehung zu ihm angelegt ist, liegt der Gedanke nicht weit, dass es im Verhalten zu den Mitmenschen ähnlich ist. Wenn dies Ausdruck der echten Gottesverehrung sein soll, dann reicht es nicht, dem Nächsten nur deshalb nichts Böses zu tun, um einer Bestrafung zu entgehen. Sondern dann tue ich ihm Gutes, weil ich mich an seinem Wohlergehen freue.
• Genau in diesem Sinne hebt 3.Mo. 19,18 die Gesinnung hervor, mit der ich die Gebote, die in dem Kapitel aufgezählt werden tun soll. Und zwar wird dies vor allem auf den Bereich zwischenmenschlicher Streitigkeiten angewendet: „Verbreitet keine Verleumdungen über eure Mitmenschen. Sucht niemand dadurch aus dem Weg zu schaffen, dass ihr vor Gericht falsche Anschuldigungen gegen ihn vorbringt. Ich bin Jahwe. Wenn du etwas gegen deinen Bruder oder deine Schwester hast, dann trage deinen Groll nicht mit dir herum. Rede offen mit ihnen,  sonst machst du dich schuldig. Räche dich nicht an deinem Mitmenschen und trage niemand etwas nach. Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst! Ich bin Jahwe.“ Das Gebot der Liebe wird hier auf den Fall von Streitigkeiten angewandt. Die Liebe zum Mitmenschen beinhaltet nicht nur, dass ich ihn nicht verleumde. Sondern sie beinhaltet vor allem die Bereitschaft zur Vergebung und die Freude wiederhergestellter Gemeinschaft.

Die besondere Bedeutung der Nächstenliebe ist also im Gesetz zu finden. Es bleibt aber einmal mehr Christus vorbehalten, die überragende Bedeutung dieses Gebotes herauszustellen. Er selbst hat dieses Gebot erfüllt, nicht zuletzt mit seiner Bereitschaft, sein Leben für uns hinzugeben, die in Schuld verloren waren. Durch seinen Tod und seine Auferstehung ist nun die neue Schöpfung angebrochen. Was Gott hier durch seinen Geist in den Jüngern von Jesus in ihrem Verhalten zum Nächsten vor allen Dingen bewirkt, ist Liebe. In jeder christlichen Ortsgemeinde ist mehr oder weniger das erfüllte Wirklichkeit, was das Gesetz vorgeschattet und ersehnt hat.

10)Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses; demnach ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.

-          „demnach“ => Die Liebe erschöpft sich nicht darin, dem Nächsten nichts Böses zu tun. Sie tut ihm Gutes. Und nicht nur das, sie tut es von Herzen gerne. Das Gesetz fordert in den Geboten, die das Zusammenleben betreffen, vor allen Dingen, dem Nächsten nichts Böses zu tun, sondern Gutes. Was solches Verhalten hervorbringt, ist die Liebe. Die Liebe ist die Gesinnung, die einzige Gesinnung, die dem Nächsten nichts Böses, sondern nur Gutes zukommen lässt. Zur Erfüllung des Gesetzes braucht es nicht weniger als der Liebe, zu der Gott in der neuen Schöpfung die befreit, die an Jesus Christus glauben.

13,11)Tut dies in Erkenntnis der gegenwärtigen Zeit! Die Stunde ist nämlich da, dass ihr aus dem Schlaf zu erwacht.

-          „tut dies“ => Paulus bezieht sich hier wahrscheinlich auf alles, wozu er die Christen seit 12,1 aufgefordert hat. Es macht Sinn, 13,11-14 als zusammenfassenden Abschluss des allgemeinen Teils zur christlichen Ethik aufzufassen, der sich von 12,1-13,14 erstreckt.

-          „in Erkenntnis der gegenwärtigen Zeit“ => Paulus spricht nicht bloß im geschichtlichen Sinn von seiner Gegenwart und der der römischen Christen. Er bezieht sich auf die mit dem Tod und der Auferstehung von Jesus begonnene neue heilsgeschichtliche Zeit. Es gilt, diese Zeit mit ihren Herausforderungen und Gelegenheiten zum Dienst für Gott zu erkennen.

-          „dass ihr aus dem Schlaf erwacht“ => Paulus gebraucht hier eine bildliche Redeweise um hervorzuheben, dass die Zeit, um Gott mit dem ganzen Leben zu dienen, schon angebrochen ist. Christen sollen dies vor Augen haben und nicht darin träge werden, Gott zu dienen. Im Gegenteil, sie sollen Gott in dieser Zeit eifrig dienen. Paulus gebraucht das Bild von dem beginnenden Tag in wenigstens doppelter Hinsicht. Zum einen spricht er vor dem Hintergrund eines gewöhnlichen Tagesablaufs im damaligen Nahen Osten, wo man möglichst früh mit der Arbeit begann, um der Mittagshitze zu entgehen. Zum andern vergleicht er die Nacht mit der alten Schöpfung und den Tag mit der neuen Schöpfung.

Denn jetzt ist uns die Rettung näher als damals, als wir zum Glauben gekommen sind. 12)Die Nacht ist vorgerückt und der Tag nahegekommen.

-          „die Rettung ist uns näher“ => Paulus spricht hier von unserer zukünftigen Errettung, die bald geschieht. Paulus kann davon sprechen, dass Christen bereits gerettet sind. Röm. 8,24: „Auf Hoffnung hin sind wir gerettet worden.“ Eph.2,8: „Durch Gottes Gnade seid ihr gerettet, und zwar aufgrund des Glaubens.“ Größere Betonung legt Paulus aber auf unserer zukünftigen Errettung, die dann geschieht, wenn Jesus wiederkommt. Röm. 5,9-10a: „Es kann jetzt, nachdem wir aufgrund seines Blutes für gerecht erklärt worden sind, keine Frage mehr sein, dass wir durch ihn vor dem kommenden Zorn gerettet werden. Wir sind mit Gott durch den Tod seines Sohnes versöhnt worden, als wir noch seine Feinde waren. Dann kann es jetzt doch gar nicht anders sein, als dass wir durch Christus auch gerettet werden.“

Christen leben also in einer Art Zwischenzustand: Sie sind schon gerettet und sie werden noch gerettet. Beides ist so zu verbinden, dass es unsere Heilsgewissheit fördert. Auf der einen Seite blicken wir getrost und dankbar zurück auf das, was Gott in Christus bereits für uns getan hat. Auf der anderen Seite aber halten wir voller Vorfreude entschieden auf die Vollendung zu. Paulus legt auf der Vollendung mehr Gewicht, wenn es darum geht, den Aufruf zu einem Leben für Ehre Gottes zu begründen. Besonders eindrucksvoll geschieht dies in 1.Kor. 15. Einen Geschmack davon kriegen wir auch in Röm. 13,11-14.

-          „die Nacht ist weit vorgerückt“ => In der damaligen Zeit gab es noch keine künstlichen Lichter. Außerhalb der Häuser war es nachts dunkel bis zur Morgendämmerung. Erst wenn es draußen hell wurde, konnte man dort mit der Arbeit beginnen. Bei Beginn der Morgendämmerung konnte man im Haus schon die ersten Vorbereitungen für die Arbeit am Tage treffen. Die Zeit am frühen Morgen zu nutzen war umso sinnvoller, als am späten Vormittag die Hitze einsetzte und die Arbeit draußen erschwert wurde. Wenn man also beim ersten Tageslicht schon draußen war, konnte man bis zum Mittag einiges schaffen. Wer die ersten Morgenstunden verschlief, vergeudete wertvolle Zeit. Paulus fordert die Christen also grundsätzlich dazu auf, die Zeit, die sie haben, sinnvoll zu nutzen, um Gott in der Welt zu dienen. Auch hier gibt es keine Zeit zu vergeuden.

-          „der Tag ist nahegekommen“ => Wichtiger aber ist die zweite bildliche Bedeutung. Die Nacht steht bildlich für die alte Weltordnung, in der die Sünde das Leben der Menschen bestimmt. Der Tag steht bildlich für die neue Weltordnung, in der Gott seine endgültige Herrschaft aufrichtet und durch Christus mit seiner Gnade über diejenigen herrscht, die dem Evangelium glauben. Christen leben in beiden Weltordnungen zeitgleich. Sie stehen nicht mehr unter der Herrschaft der Sünde, aber sie dienen Gott in der Gegenwart der Sünde. Sie dienen Gott bereits in der neuen Schöpfung, die mit dem Tod und der Auferstehung von Christus angebrochen ist.

Paulus verdeutlicht diesen „Zwischenzustand“, in dem die Christen jetzt leben, mit der Tageszeit der Morgendämmerung. Sie leben noch in der alten Weltordnung, aber sie sollen sich nicht von ihr beherrschen lassen. Bildlich gesprochen: Sie sollen aufstehen, weil die Nacht fast vorbei ist, der Morgen graut schon. In gewisser Weise steht der Sonnenaufgang bildlich für die Wiederkunft von Jesus Christus. Dann wird die neue Schöpfung vollendet. Christen leben aber jetzt schon in diesem „Tag“, das heißt sie leben nach Wertmaßstäben, die der neuen Schöpfung entsprechen.

So lasst uns die Werke der Finsternis abtun, und dagegen die Waffen des Lichts anlegen! 13)Lasst uns anständig wandeln, wie es sich am Tage geziemt: nicht in Schwelgereien und Trinkgelagen, nicht in Unzucht und Ausschweifungen, nicht in Streit und Eifersucht!

-          „die Waffen des Lichts anlegen“ => Paulus will mit dieser bildlichen Redeweise betonen, dass zwischen der alten und der neuen Weltordnung ein Kampf herrscht. Dieser Kampf ist grundsätzlich schon zugunsten der neuen Weltordnung entschieden, als Christus für uns gestorben und auferstanden ist. Es wird aber noch gekämpft, bis Christus wiederkommt und den Sieg der neuen Weltordnung vollendet. Mit dem Bild von den Waffen des Lichts betont Paulus nochmals die Dringlichkeit, die jetzige Zeit im Sinne der neuen Weltordnung und ihrer Ausbreitung durch das Evangelium zu nutzen.

-          „anständig wandeln“ => Es geht Paulus hier darum, dass wir uns in unserem alltäglichen Leben so verhalten, wie es zur neuen Schöpfung passt.

-          „wie es sich am Tag geziemt“ => Der Tag steht hier bildlich für die neue Schöpfung. Auf der einen Seite leben Christen noch im Morgengrauen, vor der Vollendung, wenn die Sonne aufgeht. Auf der anderen Seite aber werden sie schon von dem Licht des Tages, nämlich der neuen Schöpfung, bescheint.

-          „nicht in“ => Paulus nennt drei Paare von Verhaltensweisen, in denen wir nicht leben sollen: Trunksucht/Völlerei, sexuelle Unmoral und Streitsucht. Die Sünden sind verbreitet genug, dass Paulus sie ansprechen kann, ohne auf gezielte Missstände in der römischen Gemeinde hinweisen zu müssen. Trunksucht und sexuelle Unmoral sind Sünden, die üblicherweise abends oder nachts getrieben werden, wozu die Nacht als Bild für die alte Schöpfung passt. Streitsucht mag Paulus zudem auch deshalb herausgreifen, weil sie in der Gemeinde in Rom ein besonderes Problem darstellte, wie seine Ausführungen in 14,1-15,13 deutlich machen.

14)Nein, zieht Jesus Christus, den Herrn, an! Und treibt keine Vorsorge für das Fleisch, damit keine bösen Begierden erregt werden!

-          „zieht Jesus Christus, den Herrn, an“  => Paulus greift die bildliche Redeweise von Vers 12 auf. Dort sprach er davon, die Waffen des Lichts „anzuziehen“. Damit meinte er, wir sollen unser Verhalten ändern, und zwar dahingehend wie es zur neuen Weltordnung passt. Jesus Christus ist der neue Mensch, der bislang einzige vollkommene Angehörige der neuen Menschheit, den es gibt. Ihn anzuziehen, beinhaltet mehrere Aspekte:

• Wir halten uns vor Augen, dass Jesus für uns gestorben und auferstanden ist und wir mit ihm. Röm. 6,3-11; 7,4
• Wir nehmen uns die Unterweisung von Jesus zu Herzen. Er hat seinen Jüngern klar gesagt, wie sie nach seinem Willen leben sollen. Paulus nimmt darauf besonders in 12,9-21 Bezug.
• Jesus hat in allen Dingen so gelebt, wie Gott es will. Er ist unser großes Vorbild, dass wir aus Liebe nachahmen.
• Jesus kommt bald wieder und wird uns dann zu sich holen. Durch die leibliche Auferstehung von den Toten werden wir dann vollendet werden und sein, wie er ist. Christen sind Gott dankbar für alles, was er ihnen in der Endzeit gibt. Aber sie wissen, dass der Gedanke: „So wie es jetzt ist, kann es bleiben.“, grundfalsch ist. Ihr Blick ist vor allem nach vorne gerichtet auf die Vollendung der neuen Schöpfung.

-          „treibt keine Vorsorge für das Fleisch“ => „Fleisch“ ist so viel wie „in Menschen personifizierte Sünde“. Es ist der alte Mensch, der sich nach den Wertmaßstäben der alten Schöpfung ausrichtet. Keine Vorsorge für das Fleisch zu betreiben meint also, sich innerlich nicht damit zu beschäftigen, wie man die Wünsche, die der alten Weltordnung, entsprechen, befriedigen kann. Denn dadurch werden sündhafte Leidenschaften und Begierden nur weiter angeheizt: sexuelle Unmoral, Habsucht, verbunden mit eine übermäßigen Sorge um die eigene Absicherung, Gleichgültigkeit, Hochmut, Ehrsucht, Wut und Hass gegenüber anderen.

-          Anwendung: Wir sollen nicht unseren alten Menschen hegen und pflegen. Der ergeht sich gerne in Selbstmitleid und stöhnt, wie schwer es sei, Gott zu dienen und wie schön es sei, den eigenen, selbstbestimmten Wünschen nachzugehen. Wir sollen immer wieder in unseren neuen Menschen, der wir in Christus sind, hineinschlüpfen. Der ist von Freude darüber erfüllt, Gott zu kennen und seinen Willen zu tun. Christen stehen in diesem Kampf zwischen ihrem alten und ihrem neuen Menschen, ihr Leben lang. Es ist kein hoffnungsloser, kein trübseliger Kampf. Wir blicken vor allem nach vorne auf die Vollendung. Wir steuern auf ein grandioses Ziel zu, die Vollendung der gnädigen Herrschaft Gottes. Und wie Paulus vor allem in Röm. 8 ausgeführt hat, gibt Gott uns durch seinen Geist schon in diesem Leben genügend Vorgeschmack der neuen Schöpfung, so dass wir von Vorfreude auf ihre Vollendung erfüllt sind.